von Ute Franzmann
erschienen in der KGS 9/10-2020
(Link: https://kgsberlin.de/kgs-magazin-aktuell.html
Wie ich meiner Intuition beim Pilgern folgte
Es kam alles anders, als ich gedacht hatte. Zusammen mit meiner Schwester wollte ich den schönsten Abschnitt des Jakob-Pilgerwegs im Münsterland gehen. Aber sie hatte keine Zeit. Für mich alleine war die Anfahrt zu weit und das Wetter war auch nicht das beste. So sprachen alle Tatsachen dafür nicht zu gehen. Und dennoch war da ein Gefühl in mir, das sagte: Gehe einfach los!
Dieses innere Gefühl kenne ich bereits und ich habe gelernt, dass ich diesem Gefühl mehr vertrauen kann, als meinem Verstand. Wenn ich gerade denke: „Jetzt hab ich es!“, bringt mein Verstand wieder einen neuen Gedanken ins Spiel, so oft und solange, bis ich gar nichts mehr weiß und total verwirrt bin. Da waren mir schon oft die Worte des indischen Philosophen Krishnamurti sehr hilfreich, der sinngemäß sagte, „Alles was du denkst ist, alter Kram und bringt dich nur von der Gegenwart weg. Das Neue kannst du nicht denken, da du es noch nicht kennst. Das Neue will erlebt werden.“ Seit dieser Erkenntnis, achte ich mehr und mehr auf meine innere Stimme, meine Intuition und beobachte kritischer meine Gedanken.
Der Beginn
Also rein ins Abenteuer Leben. Der erste Abschnitt führte an einer Landstraße entlang, nicht wirklich abenteuerlich. Jedoch war es netter als ich anfangs dachte. Da in NRW ein Renaturierung durchgeführt wird und alle Wegränder mit Wildblumen bepflanzt werden, bot sich mir ein buntes Bild. Mit Schafgarbe, Wildmalve und Lupinen, wie ich es letztmalig in meiner Jugend erlebte. Es sah wunderschön aus, die Straße war bald vergessen. Im ersten Ort kam ich an einer kleinen Wasserburg vorbei. Beim Lesen der Historie stutzte ich. Damals, so heißt es dort, wurden Zwerge eingefangen und lebendig in die Burg eingemauert. Eine gruselige Vorstellung. Weiter ging es an einem lauschigen Bach entlang. Dort machte ich Rast und hörte dem Plätschern des Wassers zu. Es war Samstagmittag und noch traf ich einige Spaziergänger.
Die Mitte des Weges
Etwas ausgeruht zog ich weiter. Wer das südliche Münsterland kennt, weiß dass großflächig nur Mais gepflanzt wird und dazwischen kilometerlange Wirtschaftswege liegen. Das Wetter wurde schlechter und die Menschen weniger. Je länger ich alleine ging, desto mehr bekam ich das Gefühl, dass mein Bewusstsein nicht mehr wirklich im Hier und Heute war. Ich sah die Landschaft, trotz Maisfelder und Wirtschaftswege, zeitlos und bekam ein Gefühl von der Landschaft, vor dieser Zeit. Als würde sich mein Bewusstsein ausdehnen. Vielleicht ist das eine Eigenheit des Pilgerns. Da ich noch nicht oft gepilgert bin, kann ich das nicht mit Gewissheit sagen.
Auf einmal hörte ich Trommeltöne und indische Melodien. Ich zweifelte an meiner Wahrnehmung. Erst strichen die Töne ganz zart über die Felder zu mir, dann immer kräftiger. Ich ging den Klängen nach. Und was erblickte ich mitten in der westfälischen Pampa? Eine türkische Hochzeit. Es war ein gelungener Mix aus Landwirtschaft und orientalischer Musik. Das hatte etwas.
Das Geschenk am Ende des Weges
So lief ich weiter und weiter, insgesamt waren es 17 km. Der Regen kam und ging und es machte mir nicht mehr wirklich was aus. Wieder meldete sich meine Intuition. Sie ließ mich nach rechts schauen. Parallel zum Weg befand sich ein Buchenwald. Ich liebe Buchenwälder, da sie so hell und licht sind. Schon war ich im Buchenwald und ging dort weiter. Es war herrlich. Dann endete der Wald und ich blieb einen Moment stehen, da kam sie wieder meine Intuition. Ich sah vier Buchen, die wie ein Kreis angelegt waren und stellte mich in die Mitte der Bäume. Schaut jede Buche einzeln an und spürte die Stille und Klarheit. Ich umarmte eine Buche und spürte ihr kaltes Holz an meinem Gesicht.
Was jetzt geschah hat mich sehr verunsichert. Bei der Umarmung lag mein Ohr wohl direkt an der Rinde. Plötzlich hörte ich ein starkes Wasserrauschen und ein Gescharre, wie von einem Tier, aus dem Inneren des Stammes. Ich sprang ein Stück zurück vor Schreck. Geräusche aus dem Bauminneren davon hatte ich noch nie gehört. Medial hatte ich mich mit Bäumen schon häufiger verbunden, das kenne ich. Aber das hier war anders. Es waren Geräusche, aus dieser für mich bis dahin festen Materie und keiner bei mir, mit dem ich mich hätte austauschen können.
Jetzt war ich neugierig, ob es nur eine Sinnestäuschung an diesem einen Baum gewesen war. Also ging ich von Baum zu Baum. Es war bei allen Bäumen so. Bei den Dickeren brauchte es etwas länger und bei den Dünneren war das Geräusch sofort zu hören. Ein paarmal schaute ich hoch, ob da nicht ein Tier im Baumwipfel saß, welches scharrte. Nein, es war nichts zu sehen. Es war wie Wellen von aufsteigendem Wasser. Beim letzten Baum spürte ich sogar, die Wellen in meinen Händen, die ich daraufhin vor Schreck wegzog. Das war mir doch alles etwas zu viel. Ich kenne bereits einiges an feinstofflicher Wahrnehmung, aber dieses war anders.
Ich war beeindruckt und tief berührt von dem Erlebten und fühlte mich sehr verbunden mit den Bäumen. Sie waren und sind lebendige Wesen mit einem hörbaren Kreislauf. Der Rest des Weges lief sich wie von selbst.
Meine Mitmenschen
Wieder zu Hause angekommen, teilte ich es gleich meinen Freunden mit. Zufällig hatte eine Freundin einige Tage zuvor im Radio von dem Phänomen gehört. Darin hieß es, dass man es den Bäumen anhören kann, wenn sie verdursten. Man würde im Inneren des Baumes ein Klopfen wahrnehmen. Das war ja bei meinen Buchen, zum Glück nicht der Fall.
Nun gingen alle Freunde raus und probierten es aus, auch die Skeptiker unter ihnen. Und es klappte bei allen, alle hörten dieses Rauschen. Bei den Bäumen mit dicker Rinde ist es schwieriger, als mit glatter Rinde, wie bei der Buche und der Birke.
Die Intuition in uns
Es war nur ein kleine Abweichung vom gewohnten Weg und schon hat sich mir eine neue Welt geöffnet. Durch meine gefühlte Intuition.
Unsere Intuition hilft uns neue Wege zu gehen, um die alten Wege, die aus Gedanken und Prägungen bestehen, zu verlassen. Intuition ist nicht unbedingt unser Bauchgefühl, dort sitzen häufig Ängste und Prägungen, es ist eher die Stimme des Herzens, des Vertrauens. Sie ist direkt mit unserem höheren Selbst, mit der Quelle, verbunden. Darüber können wir erfahren, was uns wirklich glücklich macht und erfüllt. Es ist gar nicht so schwierig, wir müssen nur hinhören. Besser noch hineinfühlen, sie ist der Wegweiser der neuen Zeit.
Zu oft haben wir den Focus auf Dinge gerichtet, die nur in unserem Kopf von Bedeutung sind und vergessen dabei, dass das Leben voller Wunder ist.
Ich empfinde tiefe Dankbarkeit für das Erlebte und ich wollte es gerne teilen.